Von Antonie Rietzschel
Ildar Dadin kämpft gegen die Zustände in Russland, er braucht dafür nichts außer sich selbst und ein Plakat. Der Aktivist musste einen hohen Preis bezahlen – und wird jetzt ausgezeichnet.
Allein steht Ildar Dadin vor dem Gebäude des russischen Untersuchungsausschusses. In der Hand ein Schild: „Stoppt die Repressionen“. Auf einem Video der Aktion ist zu sehen, wie ein Polizist Dadin anspricht, ihn aber schließlich gewähren lässt. Ein Mann, ein Plakat, eine Botschaft – diese Protestform ist Dadins Markenzeichen. So forderte er in der Vergangenheit mehr Rechte für sexuelle Minderheiten und kritisierte den Krieg in der Ukraine. Bei seiner jüngsten Aktion fordert er die Freilassung von Demonstranten, die im Zuge von Anti-Korruptions-Demonstrationen festgenommen wurden.
Für sein Engagement erhält der 35-Jährige Dadin jetzt den Preis der Boris-Nemtsov-Stiftung, benannt nach dem russischen Oppositionspolitiker, der 2015 in der Nähe des Kremls erschossen wurde. Nemtsovs Tochter, Schanna Nemtsova, lebt und arbeitet in Deutschland. Sie hat die Stiftung ins Leben gerufen. Für den Preis in Höhe von 10 000 Euro gab es mehrere Anwärter, darunter Kreml-Kritiker Alexej Nawalny, der für diesen Montag zu landesweiten Protestmärschen gegen Korruption aufgerufen hatte. Noch vor Beginn der Demonstrationen wurde Nawalny in Moskau festgenommen. Die Abstimmung auf der Internetseite der russischen Zeitung Nowaja Gaseta gewann dann aber Dadin. Er selbst kann bei der Preisverleihung in Bonn nicht dabei sein. Die Behörden haben ihm die Ausstellung der Ausreisedokumente verweigert. An seiner Stelle wird ein Mitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial anwesend sein.
Drei Jahre Lagerhaft
Ildar Dadin gehört einer jungen Generation von Regime-Kritikern an, die sich rund um die Parlamentswahlen 2011 politisiert haben. Massive Wahlfälschungen führten damals zu tagelangen Demonstrationen. Beim „Marsch der Millionen“ im Mai 2012 wurden Hunderte Menschen festgenommen. Dadin setzte sich in der Öffentlichkeit für deren Freilassung ein. Und er kämpfte gegen die Diskriminierung von Homosexuellen.
Meist stand er allein mit einem Plakat auf der Straße: „Putin ist Russlands Ende“, stand ein Mal darauf. 2015 kritisierte er das fehlende Engagement für Oppositionelle: „Schweige nur – wenn sie morgen hinter dir her sind, wird der nächste schweigen“, schrieb er auf sein Plakat.
Schließlich traf es Dadin selbst. Im Dezember 2015 wurde er wegen wiederholter „Störung der öffentlichen Ordnung“ zu drei Jahren Straflager verurteilt. Die Strafe wurde später auf zweieinhalb Jahre verkürzt. Der Aktivist war das erste Opfer einer Gesetzesverschärfung. Seit dem Sommer 2014 kann in Russland jeder zu mehrjähriger Lagerhaft verurteilt werden, der zweimal in 180 Tagen gegen das Versammlungsgesetz verstößt. Dazu zählt auch die Teilnahme an unangemeldeten Protestaktionen. Als Ein-Mann-Protest musste Dadin keine Versammlung anmelden, wurde dennoch wiederholt festgenommen. Außerdem beteiligte er sich an Aktionen zur Unterstützung von Nawalny, beziehungsweise an Protesten gegen den Krieg in der Ukraine.
Anders als von Dadin vorhergesagt, folgte auf seine Verurteilung kein Schweigen. Amnesty International veröffentlichte einen Brief des Aktivisten. Dessen Anwalt hatte ihn aus der Strafkolonie geschmuggelt, in der Dadin einsaß. In dem Brief schreibt Dadin, dass er dort wiederholt misshandelt worden sei. Gleich zu Beginn sei er in Isolationshaft gekommen. Alle seine Sachen, darunter Toilettenpapier und Zahnbürste, seien ihm abgenommen worden. Als Dadin daraufhin in den Hungerstreik getreten sei, hätten ihn Mitarbeiter des Straflagers verprügelt. Dadins Brief zufolge fesselten sie ihm die Hände auf dem Rücken und hängten ihn an den Armen auf. „Danach wurde mir die Unterhose ausgezogen und man sagte mir, dass ein anderer Inhaftierter hereingeführt werde, um mich zu vergewaltigen, wenn ich den Hungerstreik nicht beende.“ Der Kolonie-Chef habe ihn mit dem Tod bedroht, sollte er sich weiter beschweren.
Die Gefängnisleitung wies die Vorwürfe zurück. Putins Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa hat sich inzwischen des Falles angenommen.
Dadin kommt frei – und demonstriert wieder
Ende 2016 hörten die Angehörigen nichts mehr von Dadin. Seine Frau Anastassija Sotowa musste vom Schlimmsten ausgehen. Der Europäische Menschengerichtshof forderte Moskau auf, Angaben über den Verbleib des Aktivisten zu machen. Nach 37 Tagen Funkstille erfuhr Sotowa, dass ihr Mann in die Strafkolonie 5 in Sibirien gebracht worden war. Es gehe ihm körperlich gut, sagte sie. Doch er sei besorgt wegen der Häftlinge, die in der Strafkolonie verbleiben müssen.
Am 24. Februar 2017 dann die Überraschung. Das oberste Gericht in Russland widerruft die Haftstrafe und ordnet Dadins Freilassung an. Der Entscheidung zufolge steht ihm finanzielle Entschädigung zu. Er verlässt die Strafkolonie mit drei Essensrationen und mit 6400 Rubel (umgerechnet etwas mehr als 100 Euro) für eine Fahrkarte. Vor dem Lager warten Journalisten und seine Frau Anastassija Sotowa. Gemeinsam fahren sie nach Hause. Zwei Wochen nach seiner Freilassung steht Ildar Dadin wieder mit einem Plakat auf der Straße. Er fordert die Verurteilung der Männer, die ihn im Gefängnis misshandelten. Dadin wird wieder festgenommen, inzwischen ist er wieder frei. Die Frage ist, wie lange noch.